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14. bis 16. Mitteilung aus China
Vierzehnte MitteilungIn der hauptsaechlich Aspekte des hiesigen Kontinental-klimas Erwaehnung finden.Im November wurde es ernst in Qiqihar: Der erste Kaelteeinbruch kam und setzte dem Herbst ein jaehes Ende. Diejenigen, die es nicht frueh genug bemerkt hatten, und zu denen auch ich zaehlte, wachten in der Frueh mit einem Schnupfen auf. Auf den Fenstern bluehten die ersten Eisblumen auf, die ich bis zu jenem Moment bewunderte, als ich bemerkte, dass sie auch an der Innenseite austrieben. In diesen Tagen lernte ich muehelos einige neue chinesische Worter: Etwa "feng tiao", duenne Schaumstoffstreifen, mit denen sich Fenster abdichten lassen. Und Aspirin auf chinesisch? Richtig! "Aspilin". Seit November schneit es ab und zu ein wenig in duennen, trockenen Broeseln. Auf den Strassen Qiqihars setzt man jedoch weniger auf die Prinzipien "Streuen und Raeumen". Hingegen haelt man hier "Verdichten und Glaetten" fuer angebracht, eine Strategie, die auf ihre Weise erfolgreich ist. Ein wenig Neuschnee auf gepresstem Altschnee fuehrt manchmal zu zwar nicht sehr spektakulaeren, aber amuesanten Radunfaellen, in denen etwa eine beliebige Anzahl Radfahrer aufeinander zuschlittern, umfallen, wieder aufstehen und, ohne einander unnoetiger Blicke zu wuerdigen, weiterfahren. Aufgrund der durchwegs geringen Reisegeschwindigkeiten verlaufen diese Vorkommnisse aber wohl immer glimpflich. Nur einmal wurde es mir mulmig, als mir ein Steyr-LKW am Radweg entgegenkam. Doch auch auf andere Weise ist man hier mit Eis kreativ:
Gestern wurde das alljaehrliche Eiskunstfestival eroeffnet. Eine Band der
Volksbefreiungsarmee klirrte mit der Kaelte flockig um die Wette, waehrend eine
unueberschaubare Anzahl Politiker ein rotes Band in Konfetti zerschnipselte. Das
Entstehen der Skulpturen hatten wir in den Tagen davor schon beobachtet: Eis war
mit Traktoren in großen Quadern herangeschafft und mit sehr großen Kreissaegen
in Ziegel zerlegt worden, Wasser war auf Baeume gespritzt worden, wo es sofort
gefror und meterlange Eiszapfen bildete, bis man vom Baum keinen einzigen Ast
mehr sah. Zu Hause angekommen, bekam ich ein Eis geschenkt. Dass Eis hier im Winter so gerne gegessen wird, hat durchaus praktische Gruende: Man kann es beinahe ueberall aufbewahren, und auch in der Jackentasche schmilzt es nicht, selbst wenn man im Bus sitzt. Im Freien gegessen, rinnt es einem nicht ueber die Finger, schlimmstenfalls broeselt es ein wenig. Fünfzehnte MitteilungIn der ein Bankbeamter beleidigt und Klowasser serviert wird.Nach einer anfaenglichen Begeisterung fuers Chinesischlernen stecke ich nun in einer Krise. Waehrend ich mich vor kurzem noch ueber Woerter wie fuer "Tischtennis" (genau, "ping pong") freute oder einen leitenden Bankangestellten erfolgreich beleidigen konnte, indem ich ihn als Schalterbeamten bezeichnete, beschraenke ich mich derzeit auf den Satz "Ich verstehe nicht, was ich hoere", den ich allerdings schon recht fluessig beherrsche. Einen weiteren Rueckschlag erlitt ich, als ich einem chinesischen Besucher Tee servierte. Obwohl von mir als recht aromatisch empfunden, stellte sich heraus, dass ich diesen aus einer Blaetter- und Bluetenmischung bereitet hatte, die man sonst ins WC wirft, um dort Duft zu verbreiten. Die dringend noetigen Chinesischstunden bekommen wir erst wieder im Maerz. Bis dahin ist es aufgrund der Fluechtigkeit der Schriftzeichen eine lange Zeit. Zeichen wie jene fuer "Polizist" mit 33 Strichen, die oft mehrmals die Richtung wechseln, wollen beinahe taeglich wiederholt werden. Erfolgreicher hingegen gestaltete sich mein Englischunterricht. Daß ich nicht aus Australien bin, ist mittlerweile jedem Schueler klar. Teilweise habe ich sogar etwas uebers Ziel geschossen, da einige Schueler offenbar glauben, die letzte Olympiade habe in Oesterreich stattgefunden. Erklaerungsversuche unterlasse ich seit Neuestem aber, da ich dann fuer bloed gehalten werde: "Was jetzt: Aodili, oder Aodaliya? Spinnt er?", lese ich in manchen Gesichtern einer Hermann-Gmeiner-Klasse. Sechzehnte MitteilungIn der sich Hyperbeln und ein Hauch Sarkasmus (oder Ironie?) zwischen Festlichkeiten draengen.Weihnachten begingen wir heuer unkonventionell. Nachdem wir unter Andreas musikalischer Leitung im Musikzimmer der Universitaet mit einigen Russen und Chinesen "Stille Nacht" gesungen hatten, wurden wir von der Uni zum Abendessen eingeladen. Anschliessend bewies Chen Wei, einer unserer chinesischen Freunde, wenig Kenntnis westlicher Braeuche, indem er vorschlug, eine Stripteasebar zu besuchen. Als ich sagte, mein Kollege Knut und ich wollten in die Kirche gehen, stiessen wir auf heftige Verwunderung. Chen Wei uebrigens, der sich abwechselnd als Politiker, Geschaeftsmann und Polizist bezeichnet, offensichtlich jedoch ueberhaupt nichts arbeitet aber sehr reich ist, wird von uns in erster Linie wegen seiner ausgezeichnet choreographierten Ruelpser sowie Vergnuegtheit geschaetzt. Obwohl Knut und ich fleissig ueben, wird Chen Wei doch immer unerreicht bleiben. Am 25. Dezember schliesslich stand ich wie ueblich um 6:40 auf und vergab anschliessend meine ersten 30 von etwa 180 Noten. Die Studenten bewiesen durchaus Kenntnis westlicher Braeuche, indem sie um Weihnachtsamnestie baten, die ich natuerlich sowieso gewaehrt haette. Anschliessend bat ich einen Englischprofessor, mir zu zeigen, wie er Pruefungen abhaelt. Kurze Zeit spaeter fand ich mich als Pruefling des Examens "Figures of Speech" wieder, und musste zwischen Sarkasmus, Ironie und Innuendo unterscheiden, angeben, was "metonymy, synechdoche und oxymoron" ist und schliesslich vorgefertigte Saetze in Hyperbeln verwandeln. Um ein Haar waere ich durchgefallen, und trotzdem habe ich das Gefuehl, dass meine Note geschenkt war. Nun neigt sich das Semester dem Ende zu. Auch das
Semesterabschlusskonzert ist vorbei, komplett mit Uniorchester, Violinsolo des Rektors, Chopinballade Nr. 3 von Andreas Ipp gespielt "as Chopin
himself", wie John angemerkt hat, und Radetzkymarsch als Zugabe. Das neue
Jahr wurde unter russischer Federfuehrung mit begeisterter chinesischer
Beteiligung und - aufgrund oesterreichischer Initiative - mit dem Donauwalzer
begruesst. Das Neujahrskonzert wurde uebertragen, komplett mit Analyse im Studio
und Re-plays spielentscheidender Szenen in der Pause.
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